„Facilitation“ heißt auf Deutsch „Erleichterung“, „etwas leicht machen“. Es beschreibt auch eine besondere Form der Moderation von menschlichen Zusammenkünften, in der wir einander einladen, inspirieren, ermutigen und Veränderungen gemeinsam gestalten. Was könnten unsere virtuellen Meetings im Moment mehr brauchen als Leichtigkeit? Sehr gut dazu passt die Metapher des Flugs. Sie beschreibt die Phasen des Startens, des Fliegens und des Landens in einem Meeting. Wenn wir in jeder Phase ein paar Dinge beachten, können wir leichter miteinander kommunizieren, gemeinsam Fahrt aufnehmen, abheben und dort landen, wo wir hinwollen.
Gut Starten
Für einen guten Start im virtuellen Raum muss ich mir zunächst klarmachen, was es bedeutet virtuell zu arbeiten. Dinge, die in einem Präsenzmeeting selbstverständlich passieren oder verstanden werden, bedürfen einer expliziteren Kommunikation, technische Voraussetzungen müssen geschaffen, Beteiligung bewusst aktiviert werden. Von klein auf haben wir gelernt, dass wir uns vor dem Fernsehbildschirm entspannen, zurücklehnen, konsumieren. Später haben wir gelernt, dass wir vor einem Computerbildschirm still arbeiten, lesen oder in die Tasten hauen. Dieses Verhalten ist also zu erwarten, sobald Menschen vor Bildschirmen sitzen. Wenn ich mir für ein Meeting eine geteilte Verantwortung und aktive Beteiligung wünsche, muss ich dafür Voraussetzungen schaffen, die das Gelernte nutzen oder das Umlernen erleichtern.
Drei heiße Spuren für einen guten Start:
1. Das Setting vorbereiten
„Die Grundannahme, dass die Technik funktioniert ist erst einmal falsch.“ (Marc Chmielewski). Davon ausgehend, bereite ich den virtuellen Raum sorgfältig vor, plane Zeit für einen Technik-Check ein, versende Youtube links mit kurzen Tutorials (z. B. vor dem Einsatz von neuen digitalen Tools), habe die Kamera auf Augenhöhe und sorge für eine Beleuchtung von vorne, damit die Teilnehmenden mich gut sehen können.
2. Eine Beziehung aufbauen
Schon mit der Einladung zum Meeting wird Beziehung gestaltet. Wenn ich neue Tools und Beteiligungsformen einsetzen will, kann ich das in der Einladung schon ankündigen. Wenn die Teilnehmenden während das Meetings die Kamera eingeschaltet lassen sollen, was für eine gute Interaktion zu empfehlen ist, sollten sie das vorher wissen und sich darauf einstellen können. Eine kleine Vorbereitungsaufgabe oder die Bitte etwas (Ideen, Fragen, Gegenstände) mitzubringen aktiviert die Beteiligung schon vor dem Treffen. Als Facilitator wähle ich mich früh ein, begrüße die Ankommenden freundlich, helfe bei technischen Fragen, lade zur Kameranutzung ein, achte auf eine ruhige Atmosphäre.
Ein gutes Meeting startet mit einem Check-in, der die Teilnehmenden auf der Beziehungsebene abholt. Ideen für Check-in Fragen mit verschiedenen Schwerpunkten gibt es z. B. unter icebreaker.range.co oder checkin.daresay.io.
3. Arbeitsfähigkeit herstellen
Auch für die inhaltliche Ausrichtung kann ein Check-in genutzt werden. Wie so oft ist es das Wichtigste, eine geeignete Einstiegsfrage zu finden, die gut auf das Ziel des Treffens einstimmt. Ein Check-in kann mit einem Redeobjekt, z. B. einem Teelöffel, der durch die Bildschirme weitergereicht wird, gestaltet werden. Eine Frage wird visualisiert, die Zeit (z. B. eine Minute) oder die Form (z. B. zwei Worte, Symbol benennen) für die Antwort ebenfalls. Die erste Person darf den Löffel ergreifen, danach nominieren die Teilnehmenden die jeweils nächste Person und reichen das Objekt weiter, bis alle dran waren. Explizite Anweisungen und ein „Time-out“ Signal, z. B. mit einem angenehmen Geräusch helfen beim Lernen der Methodik.
Menschen beteiligen sich konstruktiv, wenn sie sich sicher fühlen, am Thema interessiert sind, wissen, was von ihnen erwartet wird, was sie von den anderen erwarten können, welche Themen und welche Arbeitsweise verabredet sind. Zu Beginn eines Meetings sollten wir daher Orientierung und Transparenz über folgende Bereiche schaffen:
- Agenda, Zeit, Person, die für jedes Thema eingeplant ist
- Verabredungen zur virtuellen Etikette (z. B. „Wir lassen die Kamera an“, „Sprich damit ich Dich sehe…“)
- Spielregeln / Praktiken des Gelingens (z. B. „Persönliche Geschichten bleiben hier – das Wissen geht in die Welt…“)
- Rollen, die verschiedene Personen im Meeting einnehmen (z. B. Moderation, Chatwächterin, Zeitnehmer, Information, Protokoll…)
- Je nach Situation auch Überblick und Verortung des Meetings: „Wo sind wir gerade im Prozess?“
Fliegen
Es gibt Millionen Ansätze und Methoden, um ein Meeting gut zu navigieren. Anbei eine Auswahl für mehr Beteiligung, zielführende Diskussionen und ein paar schräge Ideen für High Flyer:
- Less is more: Sich kurzfassen und alle bitten, es auch zu tun
- In Präsentationen so wenig Folien wie möglich verwenden, oft das Bildschirmteilen unterbrechen, hören, ob es Fragen gibt, Fragen stellen
- Reine Präsentationszeit auf maximal 15 Minuten beschränken. Länger hört keiner zu.
- Sehr explizit das Wort erteilen, Redezeiten verabreden
- Handzeichen oder Redeobjekt als Signal zum Wort ergreifen verabreden und nutzen
- Ausschweifen stoppen, Beiträge zusammenfassen, stillere Teilnehmende direkt ansprechen
- Den Chat nutzen, z. B. für kleine Ideensammlungen oder Abfragen
- Immer wieder zielführende, aktivierende Fragen stellen
- Souverän mit Stille umgehen. Stille einkalkulieren, Reflexionszeit explizit benennen, fragen was die Stille bedeutet, mitteilen, wie ich die Stille deute, 5-Sekunden-Regel einführen („Wenn nach 5 Sekunden keine Fragen / Antworten von Euch kommen, gehe ich davon aus, dass…“)
- Interaktive Whiteboards, MIRO oder MURAL als virtuelle Pinnwände nutzen
- Gamification, Kreative Skalen nutzen (www.pinterest.de/trudywoo/mood-scales)
- Umfragetools wie Mentimeter nutzen, z. B. um die Qualität der getroffenen Entscheidung zu bewerten
- Elevator – Pitch zu den Kernthemen halten lassen (= Eine Minute, so lange wie ein langes Streichholz brennt)
- Eine Hofnärrin oder einen Advocatus Diaboli ernennen, gerne mit entsprechendem virtuellem Hintergrund
- Ein Redeobjekt und ein Audio Stoppsignal nutzen, z. B. mit Zimbel oder Klangschale
Angenehm Landen
Ein Meeting endet angenehm, wenn der verabredete Zeitrahmen eingehalten wurde, ich weiß, was die nächsten Schritte sind, ich etwas mitnehme und / oder beitragen konnte und ich mich angemessen verabschiedet fühle. Für eine gute Landung sollten wir daher
Inhalte gut schließen: Die wichtigsten Ergebnisse und Verabredungen zusammenfassen, Raum für abschließende Fragen geben (die Zeit auch einplanen), Hinweise auf die nächsten Schritte geben, Klären wer bis wann was macht oder mit wem redet
Feedback einholen: Was nehme ich mit? Was wünsche ich mir fürs nächste Mal? Antworten im Check-out oder im Chat teilen, die Qualität des Meetings auf Skalen oder mit Umfragetools bewerten lassen, entweder direkt im Meeting oder im Nachgang per Nachricht
Auf der Beziehungsebene verabschieden: Die klassische Check-out Frage „Wie gehe ich aus diesem Meeting?“ funktioniert immer, lässt sich aber auch durch kreative Skalen, Symbole und Metaphern ergänzen und abwandeln. Eine ruhige, herzliche Verabschiedung mit Dank für Beteiligung und Engagement sichert eine sanfte Landung.
Wie hilft dieser Ansatz Dir?
Wenn du virtuelle Meetings moderierst und sie als zäh, schwergängig und wenig interaktiv empfindest, kann die Flugmetapher dir und den Teilnehmenden helfen etwas daran zu ändern:
Starten: Wie kann ich das Setting gut vorbereiten? Was kann ich kontrollieren und was einfach akzeptieren und mich entspannen? Welche Sprache passt zu den Menschen in diesem Meeting? Wie kann ich sie gut abholen? Was brauchen die Teilnehmenden, um arbeitsfähig zu sein? Wie kann ich sie zu mehr Beteiligung einladen?
Fliegen: Wie gestalten wir die Prozesse der Information, Entscheidungsfindung und Problemlösung? Welche Muster sollten wir unterbrechen? Wollen wir eher mehr Fragen stellen oder die Redezeit begrenzen? Welche Tools wollen wir ausprobieren? Welches heute? Wie können wir gut mit Stille umgehen?
Landen: Welche Fragen müssen im Landeanflug gestellt werden? Wie holen wir Feedback ein? Wie sieht in unserem Setting eine angenehme Verabschiedung aus?
Wiebke Witt